Customer Centricity – neuer Wein in alten Schläuchen?

Customer Centricity, zu Deutsch Kundenorientierung oder Kundenzentrierung, ist in aller Munde und gilt als zwingendes Erfolgsrezept für Unternehmen. Es wird jedoch weitaus mehr gefordert als nur ein guter Kundenservice.

Unternehmen sollten sich die Brille ihrer Kunden aufsetzen und ganzheitlich analysieren welchen Kundennutzen bzw. welche Erfahrungswerte sie über die gesamte Customer Journey hinweg erzeugen bzw. für welche Kunden sie eigentlich den größten Kundennutzen stiften.

Was bedeutet Customer Centricity?

Customer Centricity ist ein Vertriebs- und Marketingkonzept, das den Kunden und nicht das Produkt in den Mittelpunkt des Interes­ses stellt. Durch Customer Centricity wird die Wertschöpfungskette so definiert, dass sie beim Kunden anfängt. Die Erwartungen, Be­dürfnisse und Wünsche des Kunden bilden damit den Ausgangs­punkt für Marketingmaßnahmen. Customer Centricity ist weitaus mehr als ein Service oder Vertriebskanal. Sie ist Unternehmenskul­tur, Strategie und Philosophie in Einern (vgl. Ryte Wiki).

Das Konzept ist nicht neu und geht zurück auf den Management­Guru Peter Drucker, der bereits in den fünfziger Jahren bahnbre­chend sagte, dass es die vorrangige Verantwortung der Unterneh­men sei, seine Kunden zu bedienen. Gewinn sei nicht das vorran­gige Ziel, sondern eine notwendige Bedingung für den Fortbestand der Unternehmen (vgl. Drucker). Darauf aufbauend entwickelten Unternehmen viele Leitsätze wie „Der Kunde ist König" oder „Customer First". Das Ziel war es, nicht einfach nur Produkte und Dienstleistungen zu verkaufen, sondern den Fokus vorrangig auf die Kundenbedürfnisse zu legen. Heute ist es das vorherrschende Ziel von Customer Centricity, die Produkte und Dienstleistungen eines Unternehmens auf die aktuellen und künftigen Bedürfnisse seiner wertvollsten Kunden anzupassen, um somit den langfri­stigen Unternehmenserfolg zu maximieren (vgl. Fader & Toms). Doch wie setzt man so eine Zielsetzung in der Praxis um?

Erfolgreiche Umsetzung in B2B-Unternehmen

Das derzeit weitreichendste Konzept wurde an der Rotterdam School of Management entwickelt (vgl. Dingena). Das Konzept be­inhaltet sieben Bausteine der Customer Centricity, die ein Unter­nehmen umsetzen sollte, um dauerhaft erfolgreich zu sein:

1) Fokussierung auf die richtigen Kunden

2) Den Kunden jeden Tag beobachten und zuhören

3) Die Kunden unserer Kunden kennen (Downstream-Kunden)

4) Permanente Wertinnovation mit Partnern

5) Verbesserung der Kundenerfahrungen und Wahrung derKundenberlehungen

6) Überlegter Einsatz von Technologie, Systemen und Kennzahlen

7) Sicherstellung eines kundenorientierten Führungsstils und einer kundenorientierten Unternehmenskultur

Der erste Baustein beinhaltet wohl die wichtigste Aufgabe in einem Unternehmen, die Zielmärkte festzulegen und die Kunden zu selektieren, denen das Unternehmen den größtmöglichen Kun­dennutzen stiften kann. Man kann nicht allen alles anbieten. Inso­fern geht es darum, die strategischen Kunden herauszufiltern. Es geht nicht darum, weniger wertvolle Kunden abzuschneiden, son­dern die firmeninternen Ressourcen bestmöglich für alle Kunden einzusetzen. Daher muss das Kundenportfolio strategisch geführt werden.

Baustein zwei beschäftigt sich damit, das Geschäft der Kunden zu verstehen, Kaufprozesse, Beweggründe sowie Herausforde­rungen. Es gilt die Veränderungen zu beobachten und dem Kun­den zuzuhören bzw. diesen dazu zu animieren, ein kontinuierliches Feedback zu geben. Jährliche Kundenzufriedenheitsbefragungen reichen dafür nicht aus, sind aber durchaus sinnvoll. Im dritten Baustein geht es darum, den Kunden der Kunden (den sogenannten Downstream-Kunden) zu kennen. Hierbei ist es entscheidend, auf der Höhe der Markt- und Technologietrends zu bleiben sowie die Aus­wirkungen auf die Downstream-Kunden zu analysieren. Pro-aktiv sollte an Angeboten zur Steigerung des Kundennutzens gearbeitet wer­den. Baustein vier beschäftigt sich mit der per­manenten Entwicklung von Wertinnovationen. Produkte und Services sollten als „work in pro­gress" betrachtet werden. Das Unternehmen sollte in gemeinsame Innovationsprojekte mit Kunden, Netzwerken und Plattformen durch­führen. Dies kann bedeuten, dass der Innova­tionsprozess durchaus länger dauern kann, als wenn dieser rein „inhouse" durchgeführt wird. Bei erfolgreichen Innovationen ist es beson­ders wichtig, die Skalierbarkeit zu beachten.

Im fünften Baustein geht es um die Verbesserungen der Kun­denerfahrungen und die Wahrung der Kundenbeziehungen. Alle Schnittstellen zu Kunden, sowohl die persönlichen als auch die digitalen, sollten auf den Prüfstand kommen. Es gilt, die soge­nannten „Momente der Wahrheit" zu analysieren. Aufbauend auf dieser Analyse sollten die Kundenerfahrungen optimiert werden und das Kundenfeedback eingeholt werden. Kundenbeziehungen sollten auf Vertrauen basieren. Vertrauen wird durch Performance, Berechenbarkeit, Wohlwollen und Integrität erzeugt.

Baustein sechs beschäftigt sich mit dem überlegten Einsatz von Technologie, Systemen und Kennzahlen. Nicht immer ist der Ein­satz von technischen Systemen förderlich für eine bessere Kun­denerfahrung. Wichtig ist es daher, den Kunden einzubinden und den technischen Fortschritt sichtbar zu machen, z.B. in einem Kun­den-Dashboard.

Der letzte Baustein beinhaltet die Sicherstellung eines kunden­orientierten Führungsstils und einer kundenorientierten Unterneh­menskultur. Wichtig ist es hierbei, dass das Top-Management mit gutem Beispiel voran geht und sich die Kundenorientierung nicht nur auf Vertrieb und Kundenservice als Speerspitzen zum Kunden beschränkt. Kundenfeedback, auch negative Stimmen, sollten als Chance gesehen werden, Prozesse und Verhalten zu überdenken.

Warum scheitert die Umsetzung?

Oft scheitert die Umsetzung an den Mitarbeitern im Unternehmen. Jeder einzelne sollte kundenzentriert denken und ein kunden­orientiertes Verhalten verinnerlichen, nicht nur der Vertriebs- und Servicebereich. Die Mitarbeiter sollten nicht nur die Bedürfnisse der Kunden kennen, sondern auch die internen Leitlinien, Pro­zesse und die damit verbundenen Kostenstrukturen. Gut gemein­te Kundenorientierung in Unkenntnis der Kostenstrukturen kann zu einem Wildwuchs an unbezahlten Extraleistungen führen, die die Profitabilität der Unternehmen signifikant beeinflussen. Letzt­endlich sollten in einer erfolgreichen Umsetzung alle Mitarbeiter eingebunden werden. Jedoch jede Customer Centricity-Initiati­ve beginnt beim Top-Management. Häufig wird diese als Leitbild verkündet, im täglichen Geschäft allerdings nur sporadisch und nicht konsequent umgesetzt. Vorgesetzte sollten den Sinn und die Bedeutung der Customer Centricity durch transformationale Führung (z.B. Visionen) vermitteln. Auch die Erweiterung der Entscheidungskompetenzen auf den unteren Hierarchieebenen führt zu einer höheren Identifikation mit der kundenorientierten Strategie. Oft fehlen kundenorientierte Anreiz- und Vergütungs­systeme (nicht nur finanzielle Kennzahlen, sondern auch Kundenzufriedenheit) als Be­messungsgrundlage. Auch im technischen Bereich gibt es viele Herausforderungen. Die Digitalisierung ist oft zu technokratisch ohne Einbindung des Kunden. Dies führt dazu, dass gute Problemlösungen letztend­lich an der Akzeptanz des Kunden scheitern. Vielfach gehen die Unternehmen in der Da­tenflut unter und die CRM-Systeme sind eher softwaregetrieben ohne das notwendige Prozessdenken. Auch findet vielfach keine regelmäßige Aktualisierung des CRM statt. Wie gesagt, ist es wichtig, den Kunden in den Mittelpunkt des In­teresses zu rücken, allerdings weiß der Kunde nicht immer, was er will und wie seine Zukunft aussieht (VUCA-Welt). Gerne geben Kunden ihre Probleme weiter, ohne ihre eigenen Hausaufgaben zu erledigen. Die zunehmende Kundendiversität und der Wunsch nach personalisierten und individuellen Lösungen erschweren die wirtschaftliche Umsetzung der Customer Centricity. Abschließend ist festzuhalten, dass die persönliche Beziehung zum Kunden das Herzstück der Customer Centricity ist. Daher sind der Automatisie­rung Grenzen gesetzt.

Fazit

Customer Centricity ist nicht neu, aber als ganzheitlicher Ansatz zwingend notwendig für B2B-Unternehmen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Es gibt viele Herausforderungen in der Umset­zung, die es gilt, aktiv anzugehen. Das Thema bleibt spannend, auch wenn es nicht neu ist, unabhängig von der Branche.